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12.10.2022

Analyse WG Challenge (S01/E01) „Gib einen tödlichen Schuss ab“

Unfassbar! In der ersten Minute des BR-Format „WG Challenge“ fordert ein Mitbewohner eine Mitbewohnerin auf, legal eine Waffe zu kaufen, diese 48 Stunden bei sich zu tragen und einen tödlichen Schuss

Unfassbar! In der ersten Minute des BR-Format „WG Challenge“ fordert ein Mitbewohner eine Mitbewohnerin auf, legal eine Waffe zu kaufen, diese 48 Stunden bei sich zu tragen und einen tödlichen Schuss abzugeben. Was sonst nur im Tatort gespielt wird, wird hier als Aufgabe gestellt. 

Es wird schnell klar, dass es sich dabei „nur“ um eine Schreckschusswaffe handeln kann, da diese ab 18 Jahren frei erwerbbar ist – vorausgesetzt sie ist mit einem PTB-Zeichen im Kreis gekennzeichnet und ist beschossen worden (§8 BeschG). Bereits diese zwei Eigenschaften werden beim Kauf zwar angerissen, im Beitrag aber nicht weiter diskutiert. So erfährt der Zuschauer nicht, dass das PTB-Zeichen bescheinigt, dass die Waffe nicht in eine Schusswaffe umgebaut werden kann, aus der Geschosse verschossen werden können.

Zum „Dabeihaben“ (Führen) ist ein Kleiner Waffenschein nötig (§10 Abs. 4 WaffG). Diesen gibt es nur auf Antrag bei der zuständigen Waffenbehörde und nach vollständiger Durchleuchtung auf Zuverlässigkeit und persönliche Eignung – inkl. Verfassungsschutzabfrage. Erst wenn alle Abfragestellen keine Einschränkungen haben, geht die Ampel in der Waffenbehörde auf grün. Dauer? Je nach Behörde 4-20 Wochen. Diese vollständige Überprüfung wird im Beitrag zwar genannt, aber nicht weiter kommentiert – die Protagonisten ist allein froh, dass bei ihr nichts Auffälliges vorliegt, auch wenn sie beim Gang zur Behörde noch auf eine zusätzliche Prüfung gehofft hat. 

Auch auf das Verbot des Schießens in der Öffentlichkeit wird kurz eingegangen, jedoch nicht weiter erwähnt, dass hier eine Schießerlaubnis (§10 Abs. 5 WaffG) nötig ist. Die Ausnahmen für das Schießen (§12 Abs. 4 WaffG) werden ebenfalls genannt, jedoch ist alleiniger Kernpunkt, dass das Schießen in der eigenen Wohnung für die Protagonistin nicht in Frage kommt – auf eine mögliche Verwendung und das Abschießen von Pyrotechnischer Munition an Silvester wird leider nicht eingegangen. 

In der Sendung wird explizit erläutert, dass aufgesetzte Schüsse mit einer Schreckschusswaffe (SRS-Waffe) potentiell tödlich sein können. Bei unsachgemäßer Handhabung kann so mancher Gegenstand tödlich sein – Kugelschreiber, Hämmer, Golfschläger! Schusswaffen sind per se sogenannte Distanzwaffen. Es muss viel kriminelle Energie dahinterstecken, eine SRS-Waffe an entsprechender Stelle aufzusetzen und einen Schuss abzugeben. Gesetzestreue Bürger, die eine SRS-Waffe in Verbindung mit einem Kleinen Waffenschein (KWS) besitzen und führen dürfen, kämen vermutlich nicht auf eine solche Idee. Denn SRS-Waffen dienen vor allem dazu, an Silvester in Verbindung mit einem Abschussbecher auf dem eigenen Grundstück Silvesterfeuerwerk sicher abschießen zu können. Wir verurteilen es auf das Schärfste, dass diese freie Waffe in diesem Bericht in dieser Weise verunglimpft wird.

Sinnvoller wäre es gewesen, wenn sich die Redakteure mit den legalen Einsatzzwecken auseinandergesetzt hätten – dann wären diese sicher schnell auf Begriffe wie Notwehr, Notstand oder Nothilfe (§ 227 BGB) gekommen und hätten sich nicht mit schwammigen Definitionen der Begriffe herausgeredet, sondern mögliche Fälle ermittelt. Leider bleiben die Protagonisten dabei, sich vor allem mit den Risiken einer nicht bestimmungsgemäßen Verwendung zu beschäftigen. Auch im späteren Verlauf wird hervorgehoben, dass auch die Polizei nicht erkennen kann, ob es sich um eine echte Feuerwaffe oder ein SRS-Modell handelt – jedoch ist genau dies das Ziel von SRS-Waffen! Denn nur, wenn ein Angreifer nicht weiß, dass ich nur eine SRS-Waffe habe, kann ich in einer Notwehrsituation ein sogenanntes Drohszenario aufbauen, ohne auch nur einen Schuss abgeben zu müssen. Die Intention ist hier also genau das Gegenteil von dem, was hier Kern des Berichtes ist. 

Dem Zuschauer wird gesagt, dass das Internet voll mit Presseartikeln zum Missbrauch von SRS-Waffen ist. Die eingeblendeten Tragödien sind aus 2013, 2015 und 2022. Bei letzterem Bericht handelt es sich jedoch um eine vermutliche Tat und in einer weiteren Headline des Schwärzwälder Boten liest sich die Tat ganz anders „Warum das Tötungsdelikt in Neukrich eine Ausnahme ist“. Bei der Tat aus dem Jahr 2013 wurde glücklicherweise der Zweijährige nicht getötet, sondern schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert – es handelte sich um einen Unfall. Auch die eingeblendete Tat von 2015 hat am 16.12.2015 im Nordkurier die Titelzeile: „Schreckschuss-Angriff endet tödlich – Tragödie in Anklam“. Hier handelte es sich um eine illegal aus Polen eingeführte Schreckschusswaffe, die in der Lage war, plastikummantelte Stahlstifte zu verschießen und deren Erwerb und Besitz in Deutschland verboten ist.   

Die Protagonistin fragt den Zuschauer, was sie davon hat, wenn Sie eine SRS-Waffe dabei hat. Sicherheitsgefühl? Sie beantwortet dies für sich selbst mit: „Hab ich aber nicht!“ Deshalb sollte sie sich im Waffenfachhandel beraten lassen – und zwar nicht zum Thema „Ich will eine SRS-Waffe kaufen“, sondern allgemein zum Thema freie Abwehrmittel und was kann ich mitnehmen, damit ich mich sicherer fühle. Denn es gibt z.B. noch Abwehrsprays, Schrillalarme oder taktische Taschenlampen. Leider gibt sie sich nicht der Frage hin, was sie in einer Notsituation tun würde/könnte ohne Hilfe, ohne ein freies Abwehrmittel. Am Ende des Berichts – als sie mit der erworbenen SRS-Waffe schießt, erläutert sie, dass sie immer schreckhaft sei, sie erschrecke sich auch immer, wenn ein Ballon platzt – dass in diesem Fall eine SRS-Waffe das völlig falsche Abwehrmittel für sie ist, erklärt sich wohl von selbst. Im weiteren Verlauf erläutert die Protagonistin immer wieder deutlich, dass es sich falsch anfühlt, mit der SRS-Waffe am Körper. Niemand trägt eine SRS-Waffe, wenn es sich schlecht anfühlt. Daher ist diese vermeintliche Challenge von Beginn an unsinnig! 
Im Bericht wird der starke Anstieg des Kleinen Waffenscheins gezeigt, jedoch trotz der Auskunft des Waffenfachhändlers zu den Hintergründen des Anstiegs insbesondere ab 2015 nicht weiter hinterfragt, warum es diesen Peak in 2015/2016 gab (Anschläge von Paris, Silvesternacht von Köln & München). Zusätzlich sagt auch der Kleine Waffenschein nichts darüber aus, ob der Inhaber wirklich eine SRS-Waffe jeden Tag dabei hat. Denn der KWS erlaubt das Führen von SRS-Waffen, verpflichten aber nicht dazu.

Im Bericht sagt der VDB-Waffenfachhändler A. Rabadzija aus München, dass es oftmals Beamte und Menschen im Öffentlichen Dienst sind, die SRS-Waffen nachfragen – also mitnichten zwielichtige Gestalten, sondern stattdessen Ordnungshüter, die sich – auch dazu gibt es genug Presseberichte  – aktuell auf der Straße nicht mehr sicher fühlen. Auch hierzu keinerlei Stellung seitens der Protagonistin oder des Senders.
Schade ist auch, dass nicht gezeigt oder gewürdigt wird, dass der Fachhändler die Protagonistin nicht nur berät, sondern die gesetzlich vorgeschriebene Hinweisverpflichtung vornimmt (§35 Abs. 2 WaffG). Es wird zwar gezeigt, dass der Ausweis vorgelegt wird, von der Belehrung, dass die SRS-Waffe ohne KWS einem Führverbot unterliegt, sieht der Zuschauer jedoch nichts. Auch wird nicht erwähnt, dass der Waffenkoffer beim Verlassen des Ladens mit einem Kabelbinder gesichert und die SRS-Waffe somit nicht zugriffsbereit ist (§ 12 Abs. 3 Nr. 2 WaffG i.V.m. Anlage 1, Abschnitt 2, Nr. 13 WaffG) – wichtige Details, die hier eindeutig zu kurz kommen. Die sicherheitsbewusste Protagonistin hätte dies aus eigenem Interesse auch für den Transport nach Köln zeigen sollen.

Leider begeht die Protagonisten einen weiteren fatalen Fehler, vor der sie sicher gewarnt wurde: Sie versteckt den Waffenkoffer ungesichert in der Wohnung. Dies verstößt gegen die Aufbewahrungsvorschriften von SRS-Waffen (§36 Abs. 1 WaffG i.V.m. §13 Abs. 2 Nr. 1 AWaffV). Ein Zahlenschloss am Koffer wäre perfekt gewesen.

Schließlich wird es politisch und der Protagonist spricht von der geplanten Waffenrechtsverschärfung, die im Koalitionsvertrag steht: Zukünftig soll der KWS vor dem Kauf einer SRS-Waffe erforderlich sein (S 109). Welche Vorteile das bringen soll, wird genauso wenig erläutert, wie der Grund für die Aufnahme im Koalitionsvertrag. Der ehemalige Berliner Innensenator Andreas Geisel hat aufgrund von vermeintlich massiv erhöhten Straftaten mit SRS-Waffen an Silvester die Verschärfungsforderung in die Innenministerkonferenz (IMK) eingebracht. Die Ergebnisse sind jedoch geheim. Derzeit ist hierzu eine Klage des VDB gegen die Bundesrepublik anhängig (VG Berlin, VG 2 K 355/21). Denn dass 244 der 370 registrierten Straftaten (66%), die Herr Geisel anprangert, Verstöße auf das Führen ohne Kleinen Waffenschein beruhen, wird ganz offensichtlich nicht berücksichtigt.

Gegen Ende wird noch in der Rechtsmedizin Köln geschossen, da die Protagonistin ja unbedingt einen „tödlichen“ Schuss abgeben will. Der Rechtsmediziner jedoch bestätigt, dass die Taten mit SRS-Waffen im Vergleich mit anderen Tatmitteln (Messern, etc.) völlig zu vernachlässigen sind. Hier wäre der Vergleich der beigebrachten Verletzung mit dem Stich durch ein handelsübliches Küchenmesser angebracht gewesen, denn dies kann deutlich schneller tödliche Verletzungen beibringen als eine SRS-Waffe.

Unser Fazit – Thema verfehlt! Lieber BR, wir vom VDB stehen euch zukünftig gerne bei fachlichen Fragen als Experte zur Verfügung, damit ihr verschiedene Blickwinkel kennenlernt und euren Zuschauern das Big Picture zeigen könnt. Wir hoffen zudem, dass die nächsten Challenges keine weiteren unsinnigen „Tötungsaktionen“ im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen zeigen, denn mit genug falschen Absichten lassen sich in unseren Augen schnell tragische Schlagzeilen mit handelsüblichen Gegenständen verursachen! 

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