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12.01.2024

Bushcraft und Survival boomen

Zwei Trends als Quelle für neue Kundengruppen im Outdoorhandel

Morgentau hängt noch in silberglänzenden Tropfen an den Pflanzen, als ich im Kofferraum sitzend meine Schuhe festschnüre und den Rucksack anpasse. Nebel schwebt schwer zwischen den düsteren Bäumen des Fichtenwaldes und entfernt empört sich lauthals ein Eichelhäher über meine Ankunft. Das Schließen der Autotür durchbricht die Stille. Doch danach senkt sich erneut die Ruhe des Waldes wie ein Schleier über mich und die Umgebung. Hüfthoher Farn durchnässt meine Hose, währenddessen ich in den Wald eintauche. Als ich nach einem langen Marsch über Stock und Stein an meinem auserkorenen Platz ankomme, bin ich außer Puste. Mit nur wenigen Hilfsmitteln errichte ich mir mit dem, was die Natur vor Ort bietet, ein primitives Nachtlager. Am knisternden Lagerfeuer steht schon bald eine Pfanne mit verführerisch riechenden Pilzen und ein Fichtennadeltee kocht brodelnd im Topf.



Aufgetischt: Die Mahlzeit wird mit dem aufpeppt, was saisonal in der Natur verfügbar ist. 



Große Zufriedenheit breitet sich in mir aus, trotz Entbehrungen und körperlicher Erschöpfung. Tiefschwarz senkt sich die Dunkelheit der Nacht über den Ort, an dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Die Geräusche des Tages verstummen. Je ruhiger es im Wald wird, desto stiller wird meine rastlose Seele. Während alle Menschen um mich herum sich zu Hause in ihren Betten in Sicherheit wiegen, schlüpfe ich in meinen Schlafsack, der nur auf einer notdürftigen Matratze aus Ästen und Moos liegt. Würde ich tauschen wollen? Nein, auf keinen Fall! 


Primitiv, doch effektiv: Eine Matratze, ein Dach über den Kopf und ein Windschutzwall stellen eine notdürftige, doch komfortable Behausung dar. 


Corona hat es uns allen offenkundig gemacht: Es lohnt sich, vor die eigene Haustüre zu treten und die heimische Natur in vollen Zügen zu genießen. Es muss nicht immer die Flugreise in den Süden sein- gleich um die Ecke offenbaren sich wahre Naturschätze, die nur darauf warten, entdeckt zu werden.
Für den einen ist die Natur nur eine Nutzungsfläche für Forst- Land- und Weidewirtschaft, der andere sieht sie als Möglichkeit, um verschiedene Sportarten auszuüben, wieder andere genießen ihren Zauber beim Sonntagsspaziergang und dann gibt es noch die, denen das nicht genug ist. Menschen aus allen Alters- und Berufsgruppen zeigen sich seit einigen Jahren interessiert an einer neuen Verkaufssparte, die den Outdoorhandel zum Boomen bringt: Bushcraft und Survival. Diese Menschen suchen eine tiefe Naturverbindung, einen Kontrast zum Alltag. Die Sehnsucht nach Ruhe, Entschleunigung und Kraftschöpfen tragen wir alle in uns. Wir suchen nach einer temporären Realitätsflucht, wollen Abenteuer erleben, im Hier und Jetzt. Eine kurze Zeit, frei von Ängsten, Verpflichtungen, frei von Regeln, mit denen wir uns nicht identifizieren können, frei von Geschwindigkeiten, mit denen unser Körper und unsere Psyche nicht mehr mithalten können. Wir wollen all dies für kurze Zeit hinter uns lassen und den Pause Knopf drücken.  
In der Natur ist kein Platz für Hektik, hier können wir den größten Luxus unserer hektischen Zeit genießen: die Stille. 
Bushcraft und Survival sind nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung. Aber wie wird das Hobby genau definiert? 
Der aus dem Englischen kommende Begriff Survival, also Überleben, ist jedem klar. Überlebenstrainings/Lehrgänge sind und waren ein Teil der militärischen Ausbildung. Die Soldaten werden trainiert, sich hinter feindlichen Linien durchzuschlagen und mit Behelfsmaßnahmen und Selbstversorgung aus der Natur zu überleben.


Essbar: Teil des Survivaltrainings ist es, verzehrbare Wildpflanzen finden und zu bestimmen. Hier zu sehen ist die Wilde Möhre. 


Survivaltrainings für Jedermann sind im Vormarsch und werden immer beliebter. Hierbei wird aktiv das Überleben in einer Notsituation trainiert. Dazu gehören unter anderem die Fähigkeiten der mentalen Klarheit trotz Ausnahmezustandes, Errichtung von Notlagern, tierische und pflanzliche Notnahrungsbeschaffung, das Finden, Sammeln und Aufbereiten von Wasser, Orientierung mittels Sonnenstands, Sternbilder, Vegetation und viel mehr.
Die Grundlagen für das Überlebenstraining sind also die Sicherstellung essentieller Bedürfnisse.
Bei Survivaltrainings mit konstruierten Notlagen darf nur das benutzt werden, was am Körper getragen wird, oder was sich im Ausflugsrucksack befindet. 
Kaum jemand trägt täglich Equipment für Notlagen mit sich herum. Es wird also davon ausgegangen, dass die Person für diese besondere Situation nicht ausgerüstet ist. Aber mit mentaler Stärke, Improvisationsgeschick, handwerklichen Fähigkeiten und einem soliden Wissen über Tiere und essbare Wildpflanzen, ist ein Überleben im Ernstfall trotz widriger Umstände möglich.  
Bushcraft ist ein Thema das parallel zum Survivalboom einmarschierte. Während Survival auf das Überleben in Notsituationen abzielt, geht es beim Bushcraft um das Leben mit und in der Wildnis.
Wird dieser Englische Begriff ins Deutsche übersetzt, so ergibt sich Bush=Buschland, Wald und Craft=Fertigkeit oder Handwerk. Bushcraft ist also die Fähigkeit, einen angenehmen längeren Aufenthalt in der Natur zu ermöglichen. Anders als beim Survival kann dieses Szenario jederzeit beendet werden. Klar zu differenzieren ist hier der Begriff Bushcraft und Wildcampen. Denn anders als beim luxuriösen Camping, nimmt der Bushcrafter gezielt nur ein Minimalequipment mit. Das kann individuell, je nach Witterung und Ausübungsort variiert werden. Beim Waldhandwerk kann eine Axt, Säge oder Messer als Unterstützung verwendet werden. Weitere typische Ausrüstungsgegenstände sind Schlafsäck, Isomatte, Kochgeschirr, Tarp und robuste Outdoorkleidung. 



Die Robustheit der Ausrüstungsgegenstände trägt einen maßgeblichen Teil zum Gelingen oder Verderb der Outdoorprojekte bei. Für ein langlebiges Produkt wird auch gern mal tiefer in die Tasche gegriffen.


Manche Outdoor-Enthusiasten verbringen nur wenige Stunden am Stück im Wald, andere bleiben über Nacht oder nächtigen mehrere Tage. Eine Absprache mit dem Grundstückseigentümer und Revierjäger ist Grundvoraussetzung. Während dieser Zeit können beispielsweise aufwendige und fast unsichtbare Lagerkonstruktionen mit Steckverbindungen gebaut werden, essbare Wildpflanzen gesammelt, Ofenkonstruktionen aus Stein und Lehm konstruiert werden und viel mehr. Dem Ideenreichtum sind (fast) keine Grenzen gesetzt. 


Sterne-Menü mal anders: Lehm und Steine sind fantastische Baugrundlagen. Hier entstand ein Pizzaofen aus Naturmaterialien.


Die Grenzen des Equipments oder Komfort steckt sich jeder Hobbyausübende selbst fest. Ebenso verschwimmen die Übergänge von Bushcraft und Survival nach verschiedenen Auslegungen. Der eine Survivalist benutzt ein Messer, der andere geht nur mit witterungsfester Kleidung ins Gelände und probt für den Ernstfall. 
Beide Themen wurden in Deutschland lange belächelt. Fast jeder hat in seiner Kindheit provisorische Lager errichtet, oder ein Feuer in der Natur gemacht. Also ist Bushcraft nur Kinderkram?
Absolut nicht, denn inzwischen gelten beide Hobbys als eigenständige Branchen. Social Media brachte der Szene unlängst einen gewaltigen Schub und offenbarte ihr gesamtes Potenzial. Dieses gilt es nun auch vom Handel zu nutzen. 
Seit 2020 hat der Trend zu Aktivitäten an der frischen Luft eine neue Dimension bekommen. Das gilt für alle Altersklassen und die verschiedenen Teilmärkte.
Vorteilhaft ist, dass viele der beim Bushcraft genutzten Ausrüstungsgegenstände eine Zweitverwendung finden. So kann beispielsweise die japanische Zugsäge auch für die Gartenarbeit genutzt und der Schlafsack für die nächste Bergtour verwendet werden. Das Lagerfeuer wird nicht mehr mit einem Anzünder und Feuerzeug, sondern mit Kienholz und Feuerstahl entzündet und die Hängematte mit integriertem Moskitonetz kann für den Mittagsschlag im Garten genutzt werden. 


Koexistenz: Ein Leben im Einklang mit der Natur bedeutet auch Rücksichtnahme und Respekt gegenüber der Natur und den vorherrschenden Tieren.


Das, was einst Nischenprodukte waren, die es höchstens in Army-Shops zu kaufen gab, sind heute gefragte Waren mit einem hohen Absatz. Beim Kauf des Survival- und Bushcraft-Equipments wird, wie auch im gesamten Outdoorbereich, der Großteil online gekauft. Dies bedeutet, dass der stationäre Fachhandel auch im Netz präsent sein muss, da das Internet eine zentrale Rolle bei der Beschaffung von Ausrüstung spielt. Andere Konsumenten bevorzugen den Kauf in einem Geschäft vor Ort, um sich beraten zu lassen und die Produkte vorab in Augenschein nehmen zu können. 
Befinden sich Outdoor- und speziell Bushcraft, sowie Survivalprodukte im Sortiment vom Fachhandel einer anderen Branche, ist dies ein zukunftsfähiger Ansatz, um eine neue Kundengruppe zu gewinnen. 
Text & Fotos: Vanessa Blank